Für die norwegische Musikwissenschaft war Edvard Grieg seit ihren Anfängen zugleich Fluch und Segen: Grieg als Nationalkomponist war seit dem Ende des 19. Jahrhunderts so eng mit der Geschichte Norwegens als unabhängiger Nationalstaat und skandinavisches Demokratiemodell verflochten, dass es müßig erschien, diesen Status auch nur in Ansätzen anzuzweifeln. Von Beginn an hatte die norwegische Musikwissenschaft damit den unausgesprochenen nationalen Auftrag zu erfüllen, die Bedeutung Griegs als nationales Künstlergenie und Patriot von unangefochtener moralischer Autorität akademisch zu legitimieren.
Kombiniert mit einer international orientierten norwegischen Musikhistoriographie, die den kulturellen Stellenwert des nationalen Erbes neu zu bewerten imstande ist, besteht die Chance, dass das norwegische Musikerbe des 19. und
20. Jahrhunderts auf der Grundlage sorgfältig aus- und aufgeführter kritischer Editionen tatsächlich den Sprung aus der Zone des Peripheren und Verspäteten schafft, und es dadurch gelingt, sich sowohl aus dem Schatten Griegs als auch aus der verengenden Rezeption als Museum nationaler Monumente zu befreien.
Format · Aufsatz
URN · urn:nbn:de:101:1-2018091713274024440725
Publikationsort · Schott Campus, Mainz 2018
Zitation · Arnulf Mattes: »Geschichtsschreibung und nationales Kulturerbe: Zur Griegforschung in Norwegen«, in: Symposiumsbericht »Musikwissenschaftliche Editionen in Deutschland, 1930–1960«, hrsg. von Daniel M. Grimley und Tomi Mäkelä (=Beitragsarchiv des Internationalen Kongresses der Gesellschaft für Musikforschung, Mainz 2016 – »Wege der Musikwissenschaft«, hrsg. von Gabriele Buschmeier und Klaus Pietschmann [https://schott-campus.com/gfm-jahrestagung-2016]), Mainz 2018 [Schott Campus, urn:nbn:de:101:1-2018091713274024440725].
Das Beitragsarchiv fasst Referate und Posterpräsentationen des XVI. Internationalen Kongresses der Gesellschaft für Musikforschung 2016 in Mainz zusammen. Die Tagung stand unter dem Titel »Wege der Musikwissenschaft«.
→ Beitragsarchiv des Internationalen Kongresses der Gesellschaft für Musikforschung, Mainz 2016