Igor Strawinsky

Prügelstunde


»Virgil Thomson schrieb einmal, ich hätte ›Claude Debussy in heillose Panik versetzt‹. Tut mir leid. Neulich entdeckte ich einen mir bis dahin unbekannten Bericht eines Augenzeugen über eine andere Reaktion Debussys auf mich oder besser auf ein Werk von mir. Kurz nachdem ich zum erstenmal ›Pelleas‹ hörte – an der Seite des Komponisten: ich bin wohl einer der letzten unter den mehr oder weniger Lebenden, die das getan haben –, hörte sich Debussy meinen ›Sacre du Printemps‹ an. Der Dramatiker Lenormand beobachtete ihn, offensichtlich mit mehr Aufmerksamkeit, als er der Musik widmete. ›Debussy zeigte ein gequältes, betrübtes Gesicht‹, schreibt Lenormand. ›Es verriet einen Kummer, den man weder beherrschen noch verbergen kann: den eines Schöpfers, dem sich eine Welt auftut, die völlig anders als die eigene ist; die Traurigkeit eines Menschen, der zurückgelassen wird, das Leiden eines Künstlers angesichts neuer Formen, die seine Stellung in der Geschichte und seine Grenzen erkennen lassen.‹«

Format · Aufsatz

URN · urn:nbn:de:101:1-201505192785

Publikationsort · Melos 9 (1971), S. 334–338

Zitation · Strawinsky, Igor: »Prügelstunde«, in: Melos 9 (1971), S. 334–338 [Schott Campus, urn:nbn:de:101:1-201505192785].